Sie sind hier: Skip Navigation LinksUniversitätsmedizin Leipzig

„Frieda und Mathilda gehören zu mir“

​„Das kriegen wir noch hin – diesen Satz kann ich nicht mehr hören." Agnieszka Wedig hörte ihn in ihrer Jugend oft von Medizinern, aber alles wurde schlimmer und schlimmer. Dabei sah das am Anfang nicht so aus. Mit 13 Jahren wurde bei dem schlanken Mädchen Diabetes mellitus diagnostiziert. Eigentlich kein großes Problem, es gibt moderne Medikamente und Geräte, mit denen die Zuckerkrankheit in den Griff zu bekommen ist. Doch der Diabetes entpuppte sich als instabil; sehr früh begannen bei der heute 36-Jährigen die Veränderungen im Körper, die eigentlich als Spätfolgen bezeichnet werden.

„Zuerst stellten sich Nervenschädigungen an den Füßen ein, ich konnte nicht mehr richtig laufen, dazu kam ein starkes Brennen", erzählt sie. „Da war ich gerade mal 17 Jahre alt. Die Nierenwerte wurden schlechter. Von wegen, das kriegen wir noch hin." Ihr Studium der Westslawistik und Italianistik in Leipzig musste sie krankheitsbedingt abbrechen. Bis zu zehn Kilogramm Wasser hatten sich in ihrem Körper eingelagert. „Ich hatte einen dicken Wasserbauch, und ständig erlitt ich Knochenbrüche – es war schrecklich. Mein Körper war am Ende."

Im Februar 2014 wurde für Agnieszka Wedig die Dialyse notwendig, zugleich kam sie auf die Transplantationsliste. „Ich hatte mich für die Nachtdialyse in den eigenen vier Wänden entschieden", erzählt sie. „Bei dieser Peritonealdialyse wird über die Nacht eine spezielle Flüssigkeit in die Bauchhöhle gefüllt. Diese umspült das sehr gut durchblutete Bauchfell und nimmt Stoffwechselprodukte und überschüssiges Wasser auf. Danach wird die Flüssigkeit abgelassen. Dieser Vorgang wird während der Nacht mehrfach wiederholt. Am Morgen ist die Dialyse abgeschlossen und man kann den Tag über ganz normal leben. Was man so normal nennen kann, wenn man auch noch Diabetikerin ist."

Mit der Dialyse ging es mit ihr bergauf. Sie begann ein Fernstudium der Germanistik in Polen. Denn hier wird eine individuelle Organisation des Studiums speziell für Kranke oder ähnliche Härtefälle angeboten. Bei diesem Modell werden die Studenten von den Professoren und Mitstudenten sehr gut unterstützt. „Außerdem spreche ich durch meine Eltern fließend polnisch – also alles wunderbar."

Am 4. Juni 2016 dann saß die Studentin in der Vorlesung, als ihr Handy klingelte. „Ich habe die Anrufe mehrfach weggedrückt; es war mir schrecklich unangenehm, dass ich die Vorlesung störte", erinnert sich Agnieszka Wedig. „Irgendwann habe ich dann mal heimlich aufs Handy geschaut und gesehen, dass meine Familie mich ständig anrufen wollte. Ich ging aus der Vorlesung, rief meinen Papa an, der mich gar nicht zu Wort kommen ließ: Die Organe sind da. Du musst schleunigst nach Leipzig fahren."

Während der 300 Kilometer Fahrt wanderten ihre Gedanken hin und her: Geht das jetzt wirklich los? Was passiert gleich? Immerhin sollte sie zugleich eine Niere und eine Bauchspeicheldrüse erhalten. Das wird nicht so oft gemacht, nur etwa 70 Mal pro Jahr in Deutschland.

Am nächsten Tag früh um 5 Uhr begann die Operation, irgendwann wachte sie auf, spürte keine Schmerzen und ihre Familie stand freudestrahlend an ihrem Bett. Es war überstanden. „Ich hatte ein kontinuierliches Blutzuckermessgerät am Arm, das auch während der OP arbeitete. Als ich wieder zu mir kam hatte mein Mann die Werte ausgelesen und wir konnten sehen: Gegen 11.30 Uhr hat die neue Bauchspeicheldrüse die Arbeit in mir aufgenommen. Jetzt habe ich also drei Nieren und zwei Bauchspeicheldrüsen, und alles ist gut."

Übrigens haben ihre neuen Organe Namen: Die Niere in ihrem Bauchraum heißt Frieda. Die Bauchspeicheldrüse Mathilda. „Klingt vielleicht seltsam, aber die Sache mit den Namen habe ich von anderen Transplantierten übernommen. Damit macht man sich selbst klar, dass die transplantierten Organe nicht fremd sind. Frieda und Mathilda gehören zu mir, als wären sie immer schon dagewesen."

Nach der Operation stellte sich ihr Appetit komplett um. „Als Diabetikerin muss man ja diszipliniert sein. Zudem gehörten Essen und Spritzen zusammen. Auch als Dialysepatientin muss man sich speziell ernähren. Nun aber begann eine Zeit der relativ großen Freiheit. Und ich habe heute Heißhunger auf Sachen, die ich früher nicht gemocht habe." Dabei ernährt sich Agnieszka sehr bewusst und sehr gesund. Allerdings nichts Rohes – auch bei frischem Obst und Gemüse ist sie sehr vorsichtig. „Ich muss ja bis an mein Lebensende Immunsuppressiva nehmen, und das bedeutet, dass ich mich von Keimen möglichst fernhalten sollte. Daher wird meist alles gekocht, gebraten oder gebacken. Natürlich esse ich meinen Frühstücksbrei mit Apfel – aber eben gekochten Apfelstückchen. Und: Ich wasche mir häufig die Hände oder nehme Desinfektionsmittel. Es geht für mich ja um etwas. Zudem: Die Entscheidung meines Spenders, durch die ich vor zwei Jahren Niere und Bauchspeicheldrüse erhielt, hat nicht nur mein Leben gerettet, sondern auch vielen anderen Menschen neue Hoffnung gegeben: Meinen Eltern, meinem Partner, meinen Freunden und meiner Familie. Eine Organspende gibt so immer mehreren Leben eine positive Wendung."

Zurück zur Übersicht