Leipzig. Es ist ein Ende, ein Anfang, ein Neustart – und irgendwie alles gleichzeitig: Nach sage und schreibe rund 200 Jahren Hebammen-Ausbildung in Leipzig wird am 31. August der letzte Jahrgang an der zur Akademie für berufliche Qualifizierung am UKL gehörenden Medizinischen Berufsfachschule verabschiedet. Wer jetzt den Beruf der Hebamme erlernen möchte, muss studieren. Bereits seit Sommersemester 2021 läuft parallel an der Medizinischen Fakultät der Leipziger Uni der Duale Studiengang Hebammenkunde mit Bachelor-Abschluss. Mit Freude, mit Stolz und auch ein wenig Wehmut blicken Lehrende wie Auszubildende zurück auf einen besonderen Beruf mit Tradition. Doch ihr Blick geht auch nach vorn.
"Für mich ist es eigentlich kein wirklicher Abschied", sagt Dr. Henrike Todorow, Studiengangsleiterin Hebammenkunde an der Medizinischen Fakultät, und bis Ende August Fachbereichsleiterin an der MBFS. Sie ist mit drei weiteren Kolleginnen bereits von der Berufsfachschule zur Universität gewechselt und ist auch froh, "dass die Zweigleisigkeit ein Ende hat." Für Schulleiterin Jannicke Schickert ist der Wechsel von Dr. Todorow und den anderen aber auch ein Verlust an Lehrkräften, der an der Schule eine Lücke hinterlasse. Ganz pragmatisch sieht sie jedoch auch die positiven Effekte: "Wir haben nun mehr Räume für unsere Ausbildung, zum Beispiel die ab 2024 neu angebotene Teilzeitausbildung Pflegefachmann oder -fachfrau." Die Entscheidung hin zum Studium sei richtig gewesen, betont Dr. Todorow. Diese Erkenntnis habe jedoch auch erst reifen müssen: "Vor einigen Jahren sah ich das noch nicht so, doch heute nenne ich es einen notwendigen Schritt."
Was den bisherigen Ausbildungsgang auszeichnete, darüber müssen sie und Schickert nicht lang nachdenken: "Es war ein zahlenmäßig kleiner, aber dafür umso fröhlicherer Fachbereich mit einer stets positiven Aura und extrem wenigen Abbrüchen und Durchgefallenen", erklärt Schickert.
Zwei Frauen aus dem besonderen Jahrgang sind Marie-Henrike Kruse und Charlotte Deckwerth. Nach den letzten Prüfungen ging es für die beiden und drei weitere Freundinnen aus ihrer Klasse in den Urlaub nach Italien. Dort genossen sie eine "krasse Entschleunigung", wie Kruse sagt, denn der Lernstress seit Januar sei doch recht intensiv gewesen. Die Ausbildung zur Hebamme an der MBFS empfand sie als große Erfüllung: "Ich hatte den Bereich gefunden, in dem mich alles interessiert. Ich durfte unglaublich viel Wissen in diesen drei Jahren mitnehmen." Charlotte Deckwerth nennt das eigene Management aus Schule, Ausbildung und Privatleben sogar eine "Grenzerfahrung", in die sie mit der Zeit aber hineingewachsen sei.
Auszubildende konnten von parallel laufendem Studium profitieren
Die Kompetenzen in der praktischen Ausbildung der im Durchschnitt 22 angehenden Hebammen pro Jahr und Klasse - mit ganz wenigen Ausnahmen alles Frauen - seien die gleichen wie bei den Studierenden: "Wir pflegen seit jeher eine sehr gute Zusammenarbeit mit dem UKL und anderen Kooperationskliniken und sind gut vernetzt, darauf können wir nun auch beim Studium aufbauen", sagt Dr. Todorow. Als Fachbereichsleiterin an der Berufsschule hat jedoch allen ihren Hebammen in Ausbildung stets empfohlen, sich weiterzubilden und nun auch zukünftig den Bachelor-Abschluss anzustreben.
Dass sie die "Letzten ihrer Art" gewesen sein werden, war den Auszubildenden des Abschlussjahrgangs 2023 sehr bewusst. Es sei oft darüber gesprochen worden, dass parallel bereits der Studiengang an der Uni lief. Viele Fragen wurden gestellt, unter anderem, ob ihre Ausbildung einmal weniger wert sein könnte. "Unsere Absolventen haben aber profitiert, da manche Inhalte des Studiums auch in ihre Ausbildung eingeflossen sind", berichtet Dr. Henrike Todorow. Und Jannicke Schickert ergänzt: "So haben sie zum Beispiel im dritten Ausbildungsjahr zusammen mit den Studierenden und nicht mehr an der Schule gelernt. So konnten sie von der Zweigleisigkeit ein wenig profitieren und sich fruchtbringend damit auseinandersetzen." Dass der gesamte Prozess von Anfang an gegenüber dem Jahrgang offen und transparent kommuniziert worden sei, hebt Dr. Todorow besonders hervor.
Kein Nachholjahr: Besser nicht selbst schwanger werden
Dies können Marie-Henrike Kruse und Charlotte Deckwerth bestätigen. Sicherlich habe es anfänglich Verunsicherungen und vielleicht sogar Ängste gegeben, nur noch in der "zweiten Reihe" zu stehen und eine Ausbildung zu absolvieren, die vielleicht veraltet sei. Der "letzte Jahrgang" zu sein, sei spürbar und allen bewusst gewesen: "Wir durften ja nicht einmal länger ausfallen durch Krankheit oder Schwangerschaft, denn etwas im nächsten Jahr nachzuholen war schließlich nicht möglich", erzählt Marie-Henrike Kruse. "Doch Dr. Todorow und alle Lehrkräfte haben immer offen mit uns über das parallel laufende Studium gesprochen und es uns auch näher gebracht", sagt sie. "Und wir merkten schließlich genauso, dass das Ganze auch bei unseren Lehrkräften nicht emotional spurlos abläuft", ergänzt Deckwerth.
Bei der praktischen Ausbildung in den Kliniken seien sie jedoch erstaunlich oft von Schwangeren, Gebärenden oder Wöchnerinnen gefragt worden, ob sie denn nun Studentin oder Auszubildende seien: "Viele Menschen wussten vom Studium und hatten eine ganz eigene Meinung dazu", so die frischgebackene Hebamme. Ihr Arbeitsplatz ab November werden die Wochenstation und der Kreißsaal im Leipziger St. Georg-Krankenhaus sein, wo sie auch den Praxisteil während der Ausbildung absolvierte. Ihre Kollegin Kruse nimmt sich ein paar Monate frei und will dann als Freiberuflerin durchstarten: "Ich hatte vor der Ausbildung bereits 'Deutsch als Fremdsprache' studiert und würde gern hier in Leipzig meine Arbeit als Hebamme mit Integrationsarbeit verbinden", berichtet sie.
"Angemessene Abschiedsfeier" für Auszubildende und Lehrkräfte geplant
"Wir bildeten immer mehr Hebammen aus, als das UKL Bedarf hatte, wir haben und wir werden auch für unser Bundesland Sachsen ausbilden und nehmen damit unseren gesellschaftlichen Auftrag wahr", sagt MBFS-Leiterin Schickert.
Nach 25 Jahren an der Berufsschule werde sie es vermissen, die Lehre in den verschiedenen Berufen zu erleben, wie dies an der MBFS möglich sei, meint Henrike Todorow. "Und das Team", ergänzt sie, um dann gleich anzufügen: "Mein persönliches Gefühl sagt mir aber, ich bin ja nicht weg."
Die beiden Absolventinnen jedenfalls ziehen ein sehr positives Fazit: "Ich bin froh, diese Ausbildung gemacht zu haben. Sie war immer anspruchsvoll und vielschichtig", erklärt Charlotte Deckwerth. Und Marie-Henrike Kruse bringt es auf den Punkt: "Ob Auszubildende oder Studierende, wir waren doch eher Verbündete - letzten Endes alle verband uns der Wunsch, Hebamme zu werden. Dieses gemeinsame Ziel half, Berührungsängste abzubauen."
Zur Exmatrikulation am 31. August plant Schulleiterin Schickert eine "angemessene Abschiedsfeier für Auszubildenden und Lehrkräfte", sagt sie schmunzelnd. "Meine Hoffnung als Schulleiterin ist, dass wir ab jetzt auf die Expertise von Dr. Todorow zurückgreifen können, wenn es um die Akademisierung weiterer Gesundheitsfachberufe gehen wird."
Exmatrikulation
Neben 19 Hebammen, die die Prüfungen erfolgreich bestanden, werden am letzten Augusttag unter anderem auch 54 Pflegefachfrauen und -männer, 14 Operationstechnische Assistent:innen und fünf Krankenpflegehelfer:innen exmatrikuliert.
Hintergrund: Akademie für berufliche Qualifizierung am Universitätsklinikum Leipzig
Die Akademie für berufliche Qualifizierung am Universitätsklinikum Leipzig vereint die schulische Ausbildung und die berufliche Fort- und Weiterbildung am UKL. An verschiedenen Standorten werden 850 Auszubildende in neun Berufen ausgebildet sowie Mitarbeiter:innen des Universitätsklinikums Leipzigs in jährlich mehr als 780 Veranstaltungen und in fünf staatlich anerkannten Weiterbildungen für Gesundheitsfachberufe qualifiziert. 75 Lehrkräfte sowie rund 300 Referent:innen ermöglichen durch moderne Lehr- und Lernformate ein effektives und nachhaltiges Lernen.