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Pressemitteilung vom 29.06.2022

Prof. Georg Schomerus: „Stigmatisierung von Suchtkrankheiten ist ein enormes Behandlungshindernis“

Neues Buch des UKL-Psychiatrie-Experten zeigt Wege zur Entstigmatisierung auf und lässt Betroffene zu Wort kommen

Prof. Georg Schomerus leitet die Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Leipzig (UKL). Er sagt, die meisten Menschen mit Alkoholabhängigkeit blieben unbehandelt.

Prof. Georg Schomerus leitet die Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Leipzig (UKL). Er sagt, die meisten Menschen mit Alkoholabhängigkeit blieben unbehandelt.

Leipzig. Als Stigma bezeichnen Wissenschaftler ein Merkmal, das dazu führt, dass eine Person von anderen ausgegrenzt und abgewertet wird. Wer stigmatisiert wird, wird pauschal mit negativen Vorurteilen in Verbindung gebracht, seine soziale Identität ist beschädigt.
Besonders stark stigmatisiert sind Suchtkrankheiten wie zum Beispiel Alkoholabhängigkeit. Menschen, die daran leiden, benötigen Unterstützung und eine gute Behandlung. Die gesellschaftliche Stigmatisierung steht dem allerdings oft im Weg.
Prof. Georg Schomerus, Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Leipzig (UKL) hat gemeinsam mit dem US-amerikanischen Sozialpsychologen Patrick Corrigan nun ein Buch herausgegeben, das die vielen Facetten des Stigmas von Suchtkrankheiten beschreibt und Lösungen aufzeigt.

Das Buch stellt Berichte von Betroffenen über ihre Erfahrungen von Stigmatisierung neben wissenschaftliche Beiträge, die Möglichkeiten der Entstigmatisierung aufzeigen.

Es ist ein belastender Kreislauf: Die Angst vor Abwertung durch andere führt bei Betroffenen zur Geheimhaltung. Selbst mit Ärzt:innen unvoreingenommen über Alkoholkonsum oder andere Substanzen zu sprechen, wird als schwierig empfunden. Bereits die Hemmschwelle, sich selbst gegenüber Substanzprobleme einzugestehen, ist hoch, will doch niemand zur Gruppe der Menschen mit Suchtproblemen gehören.
"Viele Menschen mit Suchtproblemen werden auch tatsächlich schlechter behandelt. Patienten berichten, dass alle Beschwerden zunächst auf die Sucht zurückgeführt werden, dass ausdrücklich oder oft auch zwischen den Zeilen vermittelt wird, sie seien doch selbst schuld an ihren Problemen", berichtet Prof. Schomerus.

Alkoholprobleme zum Beispiel sind weit verbreitet: 6.7 Millionen Menschen zwischen 18 und 65 Jahren in Deutschland konsumieren gesundheitsschädliche Mengen Alkohol. Dieser ist für etwa zehn Prozent aller Todesfälle verantwortlich und eine wichtige Ursache nicht nur für Lebererkrankungen, sondern auch für Unfälle, Herz-Kreislauferkrankungen und sogar für Krebs. Denn nicht jedem ist wohl bekannt: Alkohol ist eine krebserregende Substanz - wohl vier Prozent aller Krebsfälle weltweit werden unmittelbar durch Alkoholkonsum verursacht.  "Trotzdem bleiben die meisten Menschen mit Alkoholabhängigkeit unbehandelt", erklärt der UKL-Klinikdirektor. "Stigmatisierung ist hier, wie auch bei anderen Substanzproblemen, ein enormes Behandlungshindernis."

 

Betroffenen selbst kommt wichtige Rolle beim Kampf für eine bessere Behandlung zu

Prof. Schomerus' gemeinsam mit dem US-Sozialpsychologen Patrick Corrigan herausgegebenes Buch "The Stigma of Substance Use Disorders" ist bei Cambridge University Press erschienen und enthält Betroffenenberichte und zeigt mögliche Wege zur Entstigmatisierung auf. "Mir ist es besonders wichtig, dass wir wegkommen von den Schuldzuschreibungen. Gerade beim Thema Alkohol wird längst noch nicht alles getan, was für eine wirkungsvolle Prävention notwendig wäre", sagt der Psychiatrie-Experte. "Der Pro-Kopf Alkoholkonsum in Deutschland ist einer der höchsten weltweit, deutlich höher als etwas in Italien, Frankreich, Österreich oder Polen. Es ist scheinheilig, dann mit dem Finger auf diejenigen zu zeigen, die eine Abhängigkeit entwickeln."

Eine wichtige Rolle beim Kampf gegen die Stigmatisierung und für eine bessere Behandlung komme den Betroffenen selbst zu. Menschen, die Suchtprobleme überwunden haben, seien Vorbilder und besäßen Lebenserfahrung, die kein Therapeut mit seinem Fachwissen ersetzen könne, erklärt er. Wünschenswert wäre, so Prof. Schomerus, Menschen mit eigener Suchterfahrung noch viel enger in die Behandlung einzubinden. "Da Suchtprobleme oft mit anderen körperlichen und psychischen Krankheiten einhergehen, darf deren Therapie nicht von der übrigen Medizin abgetrennt sein", fordert der Sozialpsychiater.

"Suchtprobleme sind so häufig, dass sie überall adressiert werden müssen. Je früher man über problematischen Substanzkonsum spricht, desto leichter ist es, schädliche Gewohnheiten zu ändern. Dabei zählt jede kleine Reduktion, jede Verbesserung. Ein Schwarz-Weiß-Denken, das nur die Langzeitabstinenz als Erfolg und alles andere als Scheitern abtut, hilft überhaupt nicht weiter."

 

Buch:

Prof. Georg Schomerus, Patrick Corrigan: "The Stigma of Substance Use Disorders"

Cambridge University Press, 2022

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