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Orthopäde Schreber – Meriten und Verfehlungen

​Auf selbst gebauten Barren und Recks turnten Leipziger Studenten anno 1818, während sich das Turnen in Deutschland bereits zur zentralen Stütze der aufkommenden deutschen Nationalbewegung entwickelte. An den Übungen in Leipzig beteiligte sich auch der Medizinstudent Moritz Schreber.

Nach seinem Studium wurde er zunächst Leibarzt des russischen Fürsten Alexej Somorewskij und arbeitete dann als Orthopäde und Hochschullehrer für Medizin in Leipzig. 1844 übernahm der gebürtige Leipziger die Orthopädische Heilanstalt. In dieser
Funktion hatte es Schreber oft mit schwächlichen Kindern zu tun, war es doch damals normal, dass der Nachwuchs in Fabriken arbeitete. 

Aufgrund dieser Erfahrung gründete Schreber 1845 mit anderen Universitätsprofessoren den ersten Leipziger Turnverein – einerseits, um den Kindern eine Möglichkeit für körperliches Training und zum Spielen zu geben, andererseits, um angesichts der zunehmenden Industrialisierung Grünflächen zu schaffen. In seinen Schriften thematisierte
Schreber die Gesundheit von Kindern und die sozialen Folgen des Lebens in der wachsenden Stadt. Er setzte sich daher für die körperliche Ertüchtigung der Stadtjugend durch Arbeit im Grünen ein, was inmitten der innerstädtischen Wohnkasernen nicht möglich war. 

Wegen seiner medizinischen Arbeitsweise galt Schreber als Vorreiter der modernen Naturheilkunde und Begründer der systematischen Heilgymnastik in Deutschland. Schrebers Vorstellung von Gesundheit ging sehr viel weiter. Zur Formung gesunder Körper konstruierte er Apparaturen wie Kinnbänder gegen Fehlbisse oder Halterungen für aufrechtes Sitzen. Im Glauben an eine vollständige Formbarkeit legte er großen Wert auf Gymnastik. 

Dabei waren seine Methoden und Geräte durchaus umstritten – er gilt als Hauptvertreter der „Schwarzen Pädagogik“, deren Erziehungsmethoden auf Gewalt und Einschüchterung
basieren. Schreber wurde vorgeworfen, seine Kinder zu malträtieren. Er war Vater von drei Töchtern und zwei Söhnen; und das Schicksal der Söhne – beide waren psychotisch, der ältere nahm sich mit 38 Jahren das Leben – scheint den Kritikern Recht zu geben. Heute verbindet man vor allem die Schrebergärten mit dem berühmten Orthopäden, wenn sie auch nicht direkt auf ihn zurückgehen.

Vielmehr wurde der erste Schreberverein 1864, drei Jahre nach Schrebers Tod, von seinem Schwiegersohn Ernst Innocenz Hauschild gegründet und nach ihm benannt. Hauschild legte am Johannapark eine Wiese an, auf der Kinder außerhalb von Hinterhöfen betreut toben und turnen konnten – den „Schreberplatz“. Hier legten die Kinder später Blumenbeete an, zum Erlernen von Verantwortung und Natursinn. Daraus gingen die heutigen Kleingärten hervor. Sie bilden nach wie vor einen Ausgleich zur dichten städtischen Bebauung und dienen der Erholung. Allein in Leipzig gibt es fast 280 Kleingartenanlagen mit mehr als 39.000 Parzellen.

Auch hat sich der Kern von Schrebers Anliegen, dem Stadtmenschen die Natur näher zu
bringen, bis heute bewahrheitet: Studien belegen, dass Bewohner der Industrieländer sich wenig im Freien aufhalten, zu wenig Sonnenlicht abbekommen und dadurch unter Vitamin-D-Mangel leiden, der beispielsweise das Knochenwachstum beeinträchtigen und sich auch auf die psychische Gesundheit auswirken kann.

Moritz Schreber gilt als Begründer der systematischen Heilgymnastik in Deutschland und leitete die Orthopädische Heilanstalt.

Moritz Schreber gilt als Begründer der systematischen Heilgymnastik in Deutschland und leitete die Orthopädische Heilanstalt.