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Kommt jetzt doch noch der Corona-Geburtenboom?

Prof. Holger Stepan, Leiter der Geburtsmedizin am UKL, im Interview zu den steigenden Geburtenzahlen und der Frage, warum dennoch keine Schwangere wegen voller Kreißsäle abgewiesen wird.

​Gibt es doch noch einen Geburtenboom dank Corona-Pandemie? Zumindest lassen das die aktuellen Geburtenzahlen am Uniklinikum Leipzig vermuten: Seit dem Frühjahr kommen hier sehr viele Kinder zur Welt – über 1000 seit Anfang März. Das sind deutlich mehr als in den Vormonaten und etwa 11 Prozent mehr als im Vorjahr. Neun Monate zurückgerechnet landet man im Sommer und Spätsommer 2020 – mitten in der allgemeinen Lockerungsphase.

Ist das jetzt doch noch der vielbeschworene Corona-Geburtenboom?

Prof. Stepan: Angesichts unserer Zahlen könnte man das zumindest denken. Vielleicht haben sich die Menschen nach der ersten Pandemie-Welle, bei der wir in Deutschland ja mit dem Schrecken davongekommen sind, entspannt und sich an die eigentlich anstehende Familienplanung erinnert. Oder vor lauter Erleichterung neu geplant. Das wird eine Frage sein, die künftig Soziologen beantworten müssen. Tatsächlich sehen wir in der Geburtsmedizin solche Schwankungen der Entbindungszahlen häufig, auch ganz ohne äußere Ursachen. Deshalb können wir nicht mit Sicherheit von einem Boom sprechen, dazu bräuchten wir auch deutschlandweite Zahlen, nicht nur die am UKL.

Dennoch ist es eine deutliche Steigerung zu anderen Monaten, in denen die Geburtsmedizin ja auch gut ausgelastet ist. Mehr Kreißsäle und mehr Personal haben Sie deshalb aber nicht. Müssen Sie Schwangere wegschicken?

Nein, wir schicken unter keinen Umständen jemanden weg. Eine Frau, die mit Wehen oder Problemen in der Schwangerschaft zu uns kommt, wird immer versorgt. Es wäre ethisch nicht verantwortbar, eine Schwangere wegen voller Kreißsäle abzuweisen. Was sollen die Frauen denn machen? Unter der Geburt ein Krankenhaus suchen, das dann mal Platz hat? Wir haben den Anspruch, uns so zu organisieren, dass wir jede Art von Ansturm auch bewältigen können. Das geht mit guter Planung und Organisation. Unsere fünf Kreißsäle sind selten leer, aber auf dem Flur musste deshalb noch niemand entbinden.

Wie sehr beeinflusst aktuell die Pandemie die Situation im Kreißsaal?

Wir sind nach wie vor nicht in der Vor-Corona-Normalität angekommen. Die Hygieneregeln und Schutzverordnungen gelten ja auch für Kreißsäle. Gerade der Besucherstopp war sehr einschneidend. Sonst sitzen ganze Familien um das Neugeborene und die junge Mutter im Wochenbett. In der Zeit der strengsten Besucherregelungen durfte aber dann niemand auf die Wochenstation, die Frauen hatten so viel Ruhe für die erste Zeit mit ihrem Kind wie nie. Das hatte auch gute Seiten. Unsere Hebammen haben berichtet, dass es viel seltener Schwierigkeiten mit dem Stillen gab. Dennoch ist es gut, dass wieder Besucher kommen können, wenn auch nach wie vor sozusagen nicht alle auf einmal. Zwischenzeitlich konnten auch keine Begleitpersonen mit in den Kreißsaal, das war schwer für viele Frauen und deren Partner. Inzwischen gibt es gute Lösungen, um beides zu ermöglichen – die Begleitung und den Schutz aller vor Infektionen. Dazu gehört auch der Umgang mit der Maskenpflicht. Trotz Schnelltests und Impfungen können wir im Krankenhaus darauf nicht verzichten – die Zahl der Nichtgeimpften ist nicht null, und Schnelltestergebnisse sind nicht 100-prozentig sicher. Daher drehen wir im Kreißsaal, gerade in der besonders anstrengenden Phase der Geburt, die Schutzmechanismen einfach um: Die Frauen können in der aktiven Phase der Geburt auf die Masken verzichten, dafür trägt das Personal FFP2-Masken. Und am Ende zählt, dass das Kind sicher und gesund auf die Welt kommt.