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Pressemitteilung vom 12.07.2023

Schul-Avatare am Universitätsklinikum Leipzig: Sie holen das Klassenzimmer ins Krankenhaus

Mini-Roboter ermöglichen langzeiterkrankten Kindern Teilnahme am Unterricht in Echtzeit / Soziale Kontakte erhalten: Pausenquatsch mit Schulfreunden und virtuell an Klassenfahrt teilnehmen

Schul-Avatare: „Wie ein Stellvertreter für das erkrankte Kind, das sozial isoliert ist.“

Schul-Avatare: „Wie ein Stellvertreter für das erkrankte Kind, das sozial isoliert ist.“

Leipzig. Sie sind überschaubar groß, nicht allzu schwer, beweglich, unter ihrem Plastikkörper steckt viel Mikroelektronik – doch das Wichtigste ist: Sie sind "Augen", "Ohren" und "Stimme" von Kindern, die wegen ihrer schweren oder chronischen Erkrankungen über eine lange Zeit nicht zur Schule gehen können. Die Rede ist von sogenannten Schul-Avataren. Eine Handvoll dieser elektronischen Helferlein sind bereits am Universitätsklinikum Leipzig (UKL) in der Kinderonkologie und der Kinderintensivstation im Einsatz – oder besser gesagt, an den Schulen der jungen Patient:innen.

Die zwölfjährige Emily ist oft mehrere Wochen nacheinander stationär im UKL. Seit sie dank des Avatars live am Unterricht teilnehmen kann, verpasst sie weniger vom Schulstoff. Elternbetreuerin Franziska Rothe von der Kinder-Intensivstation des UKL betreut Emily seit vielen Jahren.

Das Prinzip ist so simpel wie genial: Das roboter-ähnliche "Geschöpf" kann sich 360 Grad um die eigene Achse bewegen, "melden", sprechen, aber auch durch Gesten anzeigen, dass der Mensch dahinter zum Beispiel nun Ruhe braucht und nur zuhören will - immer gesteuert von "seinem" Kind per Tablet oder I-Pad aus dem Krankenbett in der Klinik oder auch von zu Hause. Der Avatar bekommt einen realen "Freund" oder "Freundin", der oder die ihn zum Unterricht und an andere Einsatzorte mitnimmt. So können die kleinen Patient:innen nicht nur besser am Unterricht teilnehmen, sondern auch leichter mit ihren Schulfreund:innen in sozialem Kontakt bleiben.

Vier Schul-Avatare stehen derzeit für an Krebs erkrankte Kinder zur Verfügung. Wahrscheinlich werden es bald mehr sein. Verwaltet werden sie von der "Elternhilfe für krebskranke Kinder Leipzig". Der gemeinnützige Verein setzt sich seit vielen Jahren für an Krebs erkrankte Kinder und Jugendliche sowie deren Familien ein und ist auf der pädiatrischen Onkologie des UKL im Einsatz. "Die ersten beiden Avatare sind schon seit zwei Jahren im Dienst, dann kamen vor kurzem noch zwei weitere hinzu", berichtet Markus Wulftange von der Elternhilfe. "Und ein fünfter ist in Bestellung, weil die Sache immer bekannter wird", berichtet er. Den Premieren-Avatar sponserte die Techniker-Krankenkasse, drei hat die Elternhilfe selbst erworben. Den fünften finanziert der Rotary Club Leipzig-Alte Börse.

 

Schon 2018 ist der "Elternhilfe für krebskranke Kinder Leipzig" das Modell der Schul-Avatare vorgestellt worden. Doch wegen hoher Datenschutzhürden und Kosten habe man das Projekt erst einmal wieder weggelegt. "Die erste Patientin hatten wir mitten in der Corona-Zeit", erinnert er sich. "Doch sie und ihre Eltern fanden es gleich ganz toll. Das erleichterte uns damals die Entscheidung zum Kauf des bis dahin nur zur Probe geliehenen Avatars, als wir sahen, es funktioniert." Dass der Mini-Roboter auch ganz einfach auf den Schulhof und sogar auf Klassenfahrten mitgenommen werden kann, trug nach Ansicht Wulftanges dazu bei, dass auch die Lehrkräfte an den Schulen zunehmend entspannter wurden im Umgang mit den Avataren. 

 

Mit Wimpern ausgestattet: Avatar wird Teil des Klassenkollektivs

 "Als sich abzeichnete, dass die Sache größer wird, haben wir die Klinikschule mit ins Boot geholt", sagt Markus Wulftange. Die Dr. Georg-Sacke-Schule ist als Klinik- und Krankenhausschule eine Förderschule der Stadt Leipzig mit einer Dependance am UKL. Ulrike Herbarth, Lehrkraft an der Klinikschule, sieht den elektronischen Helfer als sinnvolle Ergänzung zum Einzelunterricht in den Hauptfächern an der Klinikschule. "In unserem Psychosozialen Team entscheiden wir gemeinsam, wer für einen Avatar in Frage kommt", sagt Herbarth. Kriterien seien unter anderen das Alter und die relative Nähe des Wohnortes zur Klinik. "Das bisher jüngste Kind war neun Jahre alt, wir hatten aber auch schon Zehntklässler. Für Abiturienten:innen ist das Ganze eher nicht so interessant. Die haben andere Möglichkeiten." Markus Wulftange fügt hinzu: "In Frage kommt, wer wegen einer Krebsbehandlung ein dreiviertel oder ganzes Jahr am Schulbesuch gehindert wird. Da können wir ein Angebot zur Nutzung eines Avatars unterbreiten." In der Regel passiert dies in der Zeit des Aufenthalts in der Klinik. "Doch gerade bei stammzelltransplantierten Kindern verlängert sich die Zeit ohne Schulbesuch. Diese können den Avatar auch zu Hause weiter nutzen", erläutert der Sporttherapeut, der für die "Elternhilfe" auf der pädiatrischen Onkologie des UKL tätig ist. 

 

Herbarth und Wulftange sind vom Nutzen des Avatar-Einsatzes überzeugt: "Das ist so etwas wie ein Stellvertreter für das erkrankte Kind, das sozial isoliert ist. Es kann besser dem Unterrichtsstoff folgen, aber auf dem Schulhof auch einfach mal mit seinen Freunden quatschen und sie sehen", erläutert Ulrike Herbarth. Der Avatar löse bei den Mitschülern in der Regel viel Empathie aus. Der eine oder andere "Elektro-Mitschüler" sei wohl auch schon bemalt oder mit Wimpern beklebt worden, weiß sie. "Er wird zum Teil des Klassenkollektivs", freut sie sich.

"Die psychosoziale Versorgung krebskranker Kinder und ihrer Familien ist leider nicht über die staatlichen Kostenträger abgesichert. Daher sind wir zur Finanzierung solcher Angebote auf Spenden angewiesen", betont Markus Wulftange.

 

Immer wieder Klinik statt Schule für die zwölfjährige Emily

Sie sitzt auf ihrem Bett, trägt Kopfhörer und schaut auf den Bildschirm des Tablets vor ihr. Doch Emily schaut keine lustigen Videos zu Hause auf "YouTube", sie sitzt auf ihrem Krankenbett auf der Kinder-Intensivstation des UKL und macht Schulunterricht. Was sie sieht, erblicken gerade auch ihre Mitschüler:innen in der Leipziger Albert-Schweitzer-Schule, einer kommunalen Ganztagsschule für Kinder mit körperlichen Behinderungen. Emily ist zwölf Jahre alt. Die Leipzigerin kam als extremes Frühchen mit Ultrakurzdarmsyndrom am UKL zur Welt. Ihre Nahrungsaufnahme erfolgt fast vollständig über Infusionen. Wegen eines hohen Infektionsrisikos muss sie immer wieder Wochen, ja Monate im Krankenhaus bleiben. Die ersten viereinhalb Jahre ihres Lebens verbrachte sie komplett im UKL. 
Franziska Rothe, psychosoziale Elternbetreuerin auf der Kinder-ITS, kennt Emily von Geburt an. Im Herbst vergangenen Jahres besprach sie ihre Idee, einen Schul-Avatar für die Kinder-ITS anzuschaffen, mit dem Verein "Paulis Momente hilft". Der gemeinnützige und ehrenamtlich agierende Leipziger Verein engagiert sich seit Jahren sehr aktiv in der Kinderklinik des UKL. Dort trug man sich bereits mit ähnlichen Gedanken. Nach Anschaffung des Geräts und Klärung aller datenschutzrechtlichen Belange wurde Emily als initiale Nutzerin ausgewählt: "Emily ist sehr technikaffin, ihre Eltern stimmten zu und auch die ihrer gesamten Klasse. Die Lehrerin war ebenfalls aufgeschlossen", freut sich Franziska Rothe über den unproblematischen Start. 

Für Sven Graser, Vorsitzender von "Paulis Momente hilft", und seinen Stellvertreter Ingo Schulz ist die Sache mit den Schul-Avataren "eine supercoole Idee". Der Verein rief ein Projekt unter dem Titel "Avatar Projekt Leipzig" ins Leben, über das die Finanzierung läuft.

Nach gründlicher Recherche erwarb "Paulis Momente hilft" fünf Avatare, von denen einer nun auf der pädiatrischen Intensivstation des Leipziger Uniklinikums im Einsatz ist. Galt für den Einsatz derartiger Avatare der ungenügend eingehaltene Datenschutz bisher als großes Hindernis, so habe der ausgewählte Hersteller nun nachgewiesen, dass keine Aufzeichnung der Datenübertragung erfolge, so Ingo Schulz.

 

Weniger Ausfallzeiten für Emily

Im Mai ging es dann los mit der ersten Unterrichtsstunde. Technisch funktionierte alles, die Bilder kamen ruckelfrei. In der Albert-Schweitzer-Schule steht der Avatar auf Emilys Platz. Über das Tablet kann sie ihn steuern. "Ich verstehe alles gut mit den Kopfhörern", sagt die Zwölfjährige, "aber es fühlt sich noch etwas komisch an, dass ich auch sprechen kann mit den anderen", meint sie. "Auch Emily muss bei der Live-Übertragung natürlich auf Belange des Datenschutzes achten. Sie darf nichts speichern, aufnehmen oder weitergeben", erläutert Elternbetreuerin Rothe. Sie freut sich: "Emily hat schon viele Ausfallzeiten gehabt, nun könnten es weniger werden." Jetzt müsse man sehen, wieviele Stunden Emily mitmachen kann. "Wir tasten uns heran." Nur zum Schwimmunterricht darf der Avatar nicht mit, denn nass werden sollte er nicht. 

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