Unter welchen Voraussetzungen ist das noch eine retrospektive Studie?
Privilegierung der Eigenforschung in Sachsen
In § 29 Abs. 1 SächsKHG privilegiert der Gesetzgeber eine Eigenforschung von Ärzt*innen an Daten, welche im Behandlungskontext ihrer je eigenen Gesundheitseinrichtung erhoben worden sind.
Dabei ist im Blick zu behalten, dass bei einer solchen Verwendung der gespeicherten Daten ein so genannter Zweckwechsel vorliegt, das heißt die Daten werden nicht mehr (allein) zum Zweck der Krankenversorgung verarbeitet, sondern nun (auch) zum Zweck der Forschung.
Konkret heißt das, dass für eine solche Verwendung dieser besonders schützenswerten und grundsätzlich unter die ärztliche Schweigepflicht fallenden personenbezogenen Gesundheitsdaten aus der Versorgung eine Rechtsgrundlage für den oben genannten Zweckwechsel besteht.
Frei von Limitationen ist diese Privilegierung jedoch ausdrücklich nicht: Sie besteht nur, sofern a) die Daten bereits gespeichert sind (also in der Vergangenheit erhoben wurden) und b) keine Weitergabe an Dritte außerhalb der in Abs. 1 erwähnten Einrichtungen erfolgt, solange diese Daten als personenbeziehbar (also auch in pseudonymisierter Form gemäß Art. 4 Abs. 5. DSGVO) gelten. Andernfalls gilt grundsätzlich das Primat der informierten Einwilligung, auf welche – unabhängig des retrospektiven oder prospektiven Charakters der Studie – nur unter bestimmten Voraussetzungen verzichtet werden kann (siehe Art. 9 Abs. 2 Buchstabe j DSGVO; § 27 BDSG; § 29 Abs. 3 SächsKHG).
Weitergabe retrospektiv erhobener Datensätze an Dritte
In § 29 Abs. 2 SächsKHG verlangt der sächsische Gesetzgeber bei einer Ausleitung personenbeziehbarer Daten an Dritte grundsätzlich eine Einwilligung der betroffenen Person, formuliert in Absatz 3 jedoch zwei Ausnahmen hiervon, sofern keine anderen Möglichkeiten zur Durchführung des Forschungsvorhabens bestehen:
- eine Abwägung möglicher Interessen der Allgemeinheit gegen die Geheimhaltungsinteressen der Einzelperson
- die Unzumutbarkeit für das Einholen der Einwilligung, sofern schutzwürdige Belange der betroffenen Personen (Einzelfallentscheidung!) nicht beeinträchtigt werden.
Sofern also auf eine Einwilligung verzichtet werden soll/muss, ist der Ethik-Kommission gegenüber eine solche Abwägung im Rahmen des Antrags argumentativ mitzuteilen.
Entsprechend sind auch bei potentiellen Kooperationspartner*innen im Rahmen solcher Analysen gegebenenfalls abweichende Landesrechtliche Bestimmungen zu prüfen, welche eine erforderliche Datenausleitung an Dritte regeln.
Es kann auch im Rahmen einer Konsultation des zuständigen Datenschutzbeauftragten geprüft werden, inwiefern der erforderliche Datensatz vor Ausleitung anonymisiert werden kann.
Retrospektiv vs. Prospektiv
Es sei an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich angemerkt, dass sofern also der Behandlungszeitraum von Patient*innen der relevanten Population und damit der Erfassungszeitraum für die unter anderem auch studienrelevanten Daten in der Zukunft resp. zeitlich nach Initiierung der Studie liegt kein retrospektives, sondern ein prospektives Design vorliegt, infolge dessen auch der Antrag bei der Ethik-Kommission entsprechend gestellt werden muss.
Dies gilt insbesondere auch in Konstellationen, bei denen zu den vorhandenen „historischen" Datensets vergangener Behandlungen/Visiten zusätzlich neue Daten erhoben werden sollen – etwa im Rahmen weiterer gegebenenfalls rein studienbedingter Visiten oder zum Beispiel Fragebogen-Assessments, aber auch bei studienbedingten Datenerfassungen von externen Stellen (Stichwort: Schweigepflichtsentbindung mit-/weiterbehandelnder Ärzt*innen).
Auch wenn es sich dann lediglich um eine Weiterverarbeitung der Routine-Daten zu Forschungszwecken handelt: Ist der Forschungszweck zum Zeitpunkt der Behandlung bereits bekannt, wird eine Informierte Einwilligung eingeholt werden müssen, sofern nicht oben erwähnte Ausnahmetatbestände geltend gemacht werden können. Unabhängig rechtlicher Maßgaben ist dies nicht zuletzt auch in ethischen Erwägungen wie Transparenz der Zwecke, Vertraulichkeit der Informationen und Achtung der Autonomie der Patient*innen begründet.