Verbundprojekt AgeDifferent.de – Eine theoriebasierte Analyse geschlechtsspezifischer Entwicklungspfade (Trajektorien) für gesundes Altern auf der Grundlage einer gemeinsamen analytischen Plattform prospektiver Kohortendaten hochaltriger Menschen
Mit dem demografischen Wandel wächst der Anteil älterer Menschen in unserer Gesellschaft stetig. Dabei zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen Männern und Frauen – sowohl in der Gesundheit als auch in der medizinischen Versorgung. Das Forschungsprojekt AgeDifferent.de untersuchte, wie sich diese Unterschiede langfristig entwickeln und welche Maßnahmen zu einem gesunden Altern für beide Geschlechter beitragen können. Dabei wurden drei Hauptfragestellungen adressiert:
- Welche geschlechtsspezifischen gesundheitlichen Ungleichheiten existieren für Menschen im hohen und höchsten Lebensalter hinsichtlich der wichtigsten gesundheitlichen Zielgrößen als auch intermediärer Determinanten inklusive der gesundheitlichen Versorgung?
- Welche geschlechtsspezifischen Entwicklungspfade (sog. Trajektorien) hinsichtlich gesunden Alterns, einer langen Lebensdauer sowie erhaltener Funktionsfähigkeit und Lebensqualität können bis ins höchste Alter identifiziert werden?
- Wo und in welcher Weise ergeben sich Ansatzpunkte für Interventionen, um geschlechtsspezifische gesundheitliche Ungleichheiten zu reduzieren und ein gesundes Altern für Männer und Frauen zu fördern?
Methode
Grundlage der retrospektiven Studie bildeten die vorliegenden Daten von drei BMBF-geförderten populationsbasierten (LEILA75+) und multizentrischen allgemeinarztbasierten Alterskohorten (AgeCoDe/AgeQualiDe, AgeMooDe), die wesentliche Studienmerkmale und Erhebungsinstrumente gemeinsam haben. Zunächst wurden Zielgrößen und Determinanten für gesundheitsbezogene Geschlechtsunterschiede in den Originalstudien identifiziert. Hauptzielgrößen waren hierbei die Lebensdauer und –qualität sowie die körperliche und mentale Funktionsfähigkeit der befragten Hochaltrigen. Als Einflussfaktoren wurden u.a. die Inanspruchnahme formeller und informeller Versorgungsleistungen, Bedarfe, Gesundheitsverhaltensweisen (z.B. Alkohol-, Tabakkonsum), soziales Netzwerk, Krankheitsaspekte (Morbidität, Multimorbidität) und kritische Lebensereignisse (z. B. Verluste, Verwitwung oder Status als pflegender Angehöriger) identifiziert.
Die Daten der drei Alterskohorten wurden in einer gemeinsamen Analyse-Plattform zusammengeführt (pooling). Bestehende Unterschiede in der Operationalisierung der Zielgrößen und Determinanten zwischen den Kohorten wurden dokumentiert und mittels elaborierter quantitativer Methoden harmonisiert. Geschlechtsunterschiede in Zielgrößen und assoziierten Determinanten wurden basierend auf den harmonisierten Daten im Querschnitt deskriptiv ausgewertet.
Längsschnittliche geschlechtsspezifische Entwicklungspfade (sog. Trajektorien) für gesundes Altern wurden publikationsbasiert untersucht. Spezifische Fragestellungen bezogen sich auf die zentralen gesundheitlichen Zielgrößen, adressierten aber auch intermediäre Zielgrößen wie physische und mentale Kapazität und Aspekte der Gesundheitsversorgung und Kosten. Zusätzlich wurden im Rahmen eines qualitativen Forschungsansatzes drei Fokusgruppen (Seniorinnen und Senioren sowie Gesundheitsexperten) durchgeführt, um ausgehend von den quantitativen Ergebnissen des Forschungsprojektes zu explorieren, wo Interventions- und Präventionsmaßnahmen ansetzen können, um geschlechtsspezifische gesundheitliche Ungleichheiten zu reduzieren und gesundes Altern für Frauen und Männer bis ins höchste Lebensalter zu fördern.
Ergebnisse
Die generierte Datenplattform umfasst insgesamt 6.470 Studienteilnehmer im Alter von 75 Jahren und älter (AgeCoDe/AgeQualiDe N=3.327; AgeMooDe N=1.451; LEILA75+ N=1.692), die zwischen 1997 und 2016 befragt wurden und insgesamt fast 26.000 Personenjahre Beobachtungszeit kumuliert haben (Abbildung 1). Nach Ausschluss nicht befragbarer und geschützter Probanden zum Zeitpunkt der Baseline-Erhebungen der Einzelkohorten verringerte sich die Anzahl der untersuchten Studienteilnehmer auf n=5.934. Die AgeDifferent.de Kohorte umfasst 3.994 (67%) zur Baseline befragte Frauen und 1.940 (33%) Männer (Tabelle 1).

Tabelle 1: Charakteristika der Kohorten in
der generierten gemeinsamen Datenplattform
Charakteristika | Leila75+ | AgeCoDe/
AgeQualiDe | AgeMooDe |
Stichprobenauswahl | bevölkerungsbasiert | hausarztbasiert | hausarztbasiert |
Anzahl FUPs / Gesamtdauer (Jahre) | 6/18 | 9/13 | 1/3 |
Stichprobengröße Baseline (n) | 1.692 | 3.327 | 1.451 |
Stichprobengröße letztes FUP (n; %) | 100 (5,9) | 643 (19,3) | 980 (67,5) |
Altersdurchschnitt Baseline (Min-Max) | 82,7 (75-102) | 79,6 (68-98) | 80,4 (71-98) |
Weibliches Geschlecht Baseline (n; %) | 1.045 (75,8) | 2.176 (65,4) | 773 (62,9) |
Familienstand zur Baseline (n; %) Verheiratet Verwitwet Ledig Geschieden |
352 (25,4)
794 (57,6)
113 (8,2)
119 (8,6)
|
1.426 (42,9)
1.497 (45,0)
209 (6,3)
195 (5,9)
|
591 (48,0)
508 (41,3)
56 (4,6)
74 (6,0)
|
In bisher über 40 Publikationen in nationalen und internationalen Fachzeitschriften wurde eine Reihe von Einzelfragestellungen untersucht. Exemplarische Ergebnisse beziehen sich auf die:
- Geschlechtsspezifische Unterschiede in der Nutzung professioneller Pflegeangebote
- Häufigkeit und Ursachen von Arztbesuchen im hohen Alter
- Auswirkungen sozialer Isolation auf Depression und Demenzrisiko bei hochaltrigen Männern und Frauen
- Verlust des Ehepartners und geschlechtsspezifische Folgen für die psychische Gesundheit
- Einfluss von Gesundheitsverhalten (z. B. Alkohol- und Tabakkonsum) auf Depression im Alter
- Zusammenhang zwischen kognitiven Einschränkungen und Lebensqualität
- Faktoren, die zur Institutionalisierung und Hospitalisierung im hohen Alter führen
- Rolle sozialer Netzwerke und deren Einfluss auf kognitive Veränderungen
- Bedeutung von Mobilität und Fahrverhalten für die Lebensqualität
- Geschlechtsspezifische Präventionsmaßnahmen zur Förderung der Funktionalität im Alter
Die quantitativen und qualitativen Forschungsergebnisse liefern wertvolle Hinweise für gesundheitspolitische Strategien und individuelle Präventionsmaßnahmen. Weitere Arbeiten sind notwendig um zu untersuchen, wie gezielte Interventionen wirksam in den Alltag integriert werden können, um die Lebensqualität im Alter nachhaltig zu verbessern.
Mitglieder der AgeDifferent Studiengruppe
Steffi G. Riedel-Heller (PI), Wolfgang Maier (PI), Martin Scherer (PI), Alexander Pabst (Co-PI), Michael Wagner (Co-PI), Hans-Helmut König (Co-PI), Birgitt Wiese (Co-PI), Siegfried Weyerer, Michael Pentzek, Horst Bickel, Franziska Förster, Johannes Golchert, Kathrin Heser, André Hajek, Elzbieta Buczak-Stec
Förderung
Die Studie „Gesundes Altern: Geschlechtsspezifische Trajektorien ins hohe Erwachsenenalter" (AgeDifferent.de) und wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert (Förderinitiative "Gesund – ein Leben lang", Förderkennzeichen 01GL1714A; 01GL1714B; 01GL1714C; 01GL1714D).
Literaturverzeichnis
Laufzeit
01.09.2017 – 30.06.2020
Gesamtprojektleitung:
Prof. Dr. Steffi G. Riedel-Heller, MPH
Ansprechpartner:
Dr. phil. Alexander Pabst
Alexander.Pabst@medizin.uni-leipzig.de