In seiner Funktion als Vorstandsvorsitzender der KV Sachsen schrieb Herr Dr. Klaus Heckemann in den KVS Mitteilungen 05-06 2024 ein Editorial zum Thema Humangenetik.
Als Vertreter der Leipziger Hochschulmedizin möchten wir uns entschieden gegen die in diesem Editorial dargestellten Zukunftsvisionen Herrn Dr. Heckemanns aussprechen und verurteilen diese auf das Schärfste.
Konkret beschreibt Herr Dr. Heckemann ein Szenario, in welchem zunächst „alle Frauen mit Kinderwunsch" genetisch untersucht werden könnten, um anschließend bei jenen Paaren mit erhöhtem Risiko durch künstliche Befruchtung und Präimplantationsdiagnostik die „Geburt eines schwerstkranken Kindes ausschließen" zu können. Herr Dr. Heckemann führt seine Vision weiter und schlägt vor, auch gesunde Nachkommen, welche lediglich Anlageträger für eine genetische bedingte Erkrankung wären, auf die gleiche Weise zu selektieren „und damit diese Mutation innerhalb von nur einer Generation zu beenden." Er nennt dies zynisch „Eugenik, in ihrem besten und humansten Sinn."
Herrn Dr. Heckemanns Argumentation und Wortwahl erinnert erschreckend an § 1 des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses, welches vor 91 Jahren am 14. Juli 1933 zu Beginn des Nationalsozialismus in Deutschland erlassen wurde und welchem bekanntlich zahllose Menschen zum Opfer fielen. Herrn Dr. Heckemanns Visionen sind nicht nur nicht tragbar, sondern letztendlich auch absurd, da
jeder Mensch für gleich
mehrere der tausenden bekannten genetischen Krankheitsbilder Anlageträger ist und wir somit alle der laut Heckemann „erforderlichen Abruptio" – also dem Schwangerschaftsabbruch – zum Opfer gefallen wären. Auch seine Aussage, dass Therapien für Kinder mit genetisch bedingten Erkrankungen „in den allermeisten Fällen eine starke Einschränkung der Lebenserwartung und natürlich auch der Lebensqualität" bedeuten würden, ist grundsätzlich falsch.
Die Meinungsfreiheit ist grundsätzlich ein hohes Gut, aber sie findet an dieser Stelle klar ihre Grenzen. Zudem vertritt Herr Dr. Heckemann seine Meinung nicht als Privatperson, sondern als Vorstandsvorsitzender der KV Sachsen, einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, welche dem Staatsministerium für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt unterstellt ist. Aus unserer Sicht lassen sich daher die Aussagen, wie sie Herr Dr. Heckemann getätigt hat, mit seiner Funktion nicht vereinbaren. In jedem Fall erwarten wir eine Korrektur und Richtigstellung seiner nicht tragbaren „Zukunftsvisionen".
Gezeichnet
Prof. Dr. Christoph Josten & Dr. Robert Jacob (Vorstand Universitätsklinikum Leipzig),
Prof. Dr. Ingo Bechmann (Dekan Medizinische Fakultät der Universität Leipzig,
Prof. Dr. Johannes Lemke (Direktor Institut für Humangenetik) im Namen zahlreicher weiterer Ärzt:innen der Universitätsmedizin Leipzig